Aus bislang unbekannter Ursache sterben derzeit in Botswana massenhaft Elefanten. In einem relativ kleinen Areal im Westen des Okavango-Deltas wurden seit März 2020 die Kadaver von inzwischen mehreren hundert Elefanten gefunden. Offiziellen Regierungsangaben zufolge sind es 275 [1], lokale Experten der Tierschutzorganisation Elephants Without Borders sprechen von mindestens 356 toten Tieren. Möglicherweise ist die Zahl der tatsächlichen Todesfälle sogar höher, und nimmt noch weiter zu.
Experten sind sich einig, dass es sich um eine außergewöhnlich dramatische Situation handelt. Ein solches Massensterben kann etwa durch extreme, lang anhaltende Dürre verursacht werden – doch genügend Wasser ist offenbar vorhanden.
In Botswana leben rund 130 000 Elefanten, das sind etwa ein Drittel aller Elefanten Afrikas. In der betroffenen Region am Beginn des Okavango-Deltas halten sich laut Dr. Erik Verreyne, Tierarzt und Wildlife-Management-Berater in Gaborone, ca. 18 000 Elefanten auf.
Was bisher bekannt ist
Laut einer lokalen Zeitung wurden die ersten 44 toten Elefanten in der Region (bei den beiden Dörfern Seronga und Eretsha) bereits am 18. März 2020 gemeldet, und nicht – wie vielfach zu lesen – erst Anfang Mai [2][3].
Erst als Mitte Mai weitere 12 tote Elefanten gefunden wurden, gab das zuständige Ministerium von Botswana erstmals bekannt, die Todesfälle würden untersucht werden.
Bis Ende Mai wurden 169 Elefantenkadaver gefunden, Mitte Juni waren es bereits mehr als doppelt so viele [4].
Mittlerweile ist die Zahl der entdeckten Todesopfer auf ungefähr 356 Elefanten beiderlei Geschlechts angestiegen. Die meisten Kadaver befinden sich im sogenannten NG-11-Gebiet in der Nähe des Dorfes Seronga am nordwestlichen Rand des Okavango-Deltas. 70 % der entdeckten Todesfälle ereigneten sich vor etwa einem Monat oder früher; 30 % in den vergangenen zwei Wochen. Die Stoßzähne der toten Elefanten waren intakt, die Kadaver wiesen bisher keine Anzeichen auf, dass versucht worden wäre, das Elfenbein zu entfernen.
Einige Elefanten waren offenbar während des Gehens nach vorne auf ihre Brust zusammengebrochen, was auf einen plötzlichen Tod hindeutet – als sei ein chemisches Nervengift die Todesursache. 70 % der Kadaver lagen in der Nähe von Wasserlöchern. Es gibt keine Berichte über ähnliche Todesfälle in Namibia, das nördlich an NG 11 angrenzt.
In der Nähe von Wasserstellen wurden zudem lethargische und desorientierte Elefanten beobachtet; einige schienen wenig Kontrolle über ihre Beine zu haben. Ein Tier sah man im Kreis wandern. Kadaver von anderen Tierarten wurden in der Gegend nicht gesehen. Auch scheinen Geier, die von den Elefantenkadavern fraßen, keinen Schaden genommen zu haben [5][6].
Eine Delegation von hohen Beamten des Wildlife Department and Botswana Defence Force (BDF) hat am 4./5. Juli 2020 versucht, sich vor Ort ein Bild zu machen [7].
Todesursache bisher ungeklärt
Woran sind so viele Elefanten in so kurzer Zeit gestorben? Nach über drei Monaten ist die Ursache weiterhin ungeklärt. Es gibt aber eine Reihe von Hypothesen und viele offene Fragen, denen dringend intensiv nachgegangen werden sollte.
Wir haben keine Kenntnis darüber, ob Proben an Labore in anderen Ländern gesendet wurden und wann mit Ergebnissen zu rechnen ist. Die Regierung teilte in einem Statement am 2. Juli 2020 lediglich mit, man habe entsprechende Labore „identifiziert“ [1].
Wir wissen, dass Proben an ein Labor in Botswana geschickt und auf Anthrax (Milzbrand) getestet worden sind. Das Ergebnis war negativ. Somit ist Anthrax als Todesursache auszuschließen – vorausgesetzt, alle Wasserstellen wurden untersucht, und man kann den Aussagen des Labors vertrauen.
Andere Erreger wären denkbar, doch es gibt nirgendwo in Afrika Hinweise auf einen Ausbruch aus „natürlichen Gründen“. Keine andere Wildtierart scheint von dem aktuellen Sterben betroffen zu sein: Tiere, die aus denselben Wasserlöchern trinken, sind ebenso wenig betroffen wie Löwen, Hyänen oder Geier, die sich von Aas ernähren. Daher ist die Hypothese, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte, eher unwahrscheinlich.
Aus gleichem Grund ist auch eine Vergiftung durch ein langanhaltendes Toxin wie Zyanid eher unwahrscheinlich – Tiere anderer Arten wären damit ebenfalls vergiftet worden.
Es besteht allerdings auch die Möglichkeit von anderen tödlichen Giften, etwa solchen, die sich schnell zersetzen und nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar sind. Dem sollte ebenfalls nachgegangen werden.
Die Regierungsbehörden schließen Wilderei aus, da die Stoßzähne der toten Elefanten intakt sind. Jedoch gehen Wilderer, die Elefanten mit Gift töten, oftmals genau so vor – sie lassen Tiere sterben und kommen später zurück, um die Stoßzähne zu entfernen. In den vergangenen Wochen haben Regierungstruppen mindestens 15 Wilderer in der Region getötet. Möglicherweise hatten einige von ihnen die Absicht, den toten Elefanten das Elfenbein abzunehmen.
Spekuliert wird auch, dass verärgerte Dorfbewohner die Elefanten massenhaft getötet haben könnten, um ihre Dörfer, Wasserstellen und Felder vor den Dickhäutern zu schützen. Die meisten der aufgefundenen Kadaver liegen allerdings in trockenem Buschland in einiger Entfernung von den nächstgelegenen Dörfern. Somit ist diese Möglichkeit eher unwahrscheinlich [8].
Für den ehemaligen Naturschutzminister von Botswana Tshekedi Khama steht außer Frage, dass das Elefantensterben von Menschen verursacht wird. „So viele tote Elefanten auf engem Raum hat es noch nie gegeben“, sagte er am 3. Juli 2020 in einem Interview von RTL: „Ich bin absolut überzeugt, es gibt einen externen, menschengemachten Einfluss“ [9].
Ohne verlässliche Laborergebnisse ist all dies jedoch Spekulation.
Reaktion der Regierung
Zur Aufklärung der Ursachen und zur Vermeidung weiterer Todesfälle ist bislang kaum etwas geschehen. Untersuchungsergebnisse unabhängiger Labore stehen noch aus. Leider zeigt sich die Regierung Botswanas wenig kooperativ und transparent. Zudem lehnte die Regierung diesbezügliche Hilfsangebote ab. Unter anderem hatten Elephants Without Borders und Dr. Erik Verreyne angeboten, mit Geldern, Ausrüstung und Expertise die Aufklärung zu unterstützen.
Um auf eine eventuelle Ausbreitung des Elefantensterbens reagieren zu können, ist ein aufmerksames Monitoring dringend geboten. Überdies ist eine Zusammenarbeit der Regierung mit Experten und Wissenschaftlern erforderlich, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Erst wenn klar ist, ob die Elefanten vergiftet werden, an einer bislang unbekannten Krankheit zugrunde gehen oder ob doch Wilderer für das Massensterben verantwortlich sind, können wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Solange die Ursache unklar ist, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass selbst für Menschen eine Gefahr besteht.
Leider hat die Regierung Botswanas seit ihrer Wahlkampagne 2018/2019 die Stimmung gegen die Elefanten im Land geschürt und damit möglicherweise auch Hemmschwellen gesenkt, gegen die Dickhäuter vorzugehen. Auch die jetzige zögerliche Vorgehensweise lässt den Willen der Regierung vermissen, die Elefanten im Land adäquat zu schützen. Nicht zuletzt sind die Grauen Riesen ein wichtiger Anziehungspunkt für viele Touristen. Der Tourismus ist nach dem Geschäft mit Diamanten die zweitgrößte Einnahmequelle Botswanas.
Hintergrund – Elefantenzahlen in Afrika
Elefanten sind vom Aussterben bedroht. Hauptursachen sind Wilderei (aufgrund der Corona-Krise nochmals deutlich verschärft), Elfenbeinhandel, Verlust des Lebensraums und Jagd.
Und sie werden weiter dezimiert.
Botswana, das Land mit den meisten Elefanten weltweit, galt lange Zeit als sicherer Zufluchtsort für die größten Landsäuger. So berichtete Elephants Without Borders, dass Elefanten sich aus den umliegenden Ländern (u.a. aus Sicherheitsgründen) dorthin zurückgezogen haben, aber auch diese Zahlen sinken offenbar. Elephant Refugees Flee to Last Stronghold in Africa Der Umfang ist schwer zu beurteilen, weil viele Herden über die Grenzen wandern. Aber lt. Great Elephant Census und dem African Elephant Status Report sind die Elefantenzahlen seit 2010 um 15% gesunken, also ist auch diese Population unter Druck:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320717303890
https://portals.iucn.org/library/sites/library/files/documents/SSC-OP-060_A.pdf
Dass es sich in Botswana um eine (vermeintlich) hohe Populationsdichte handelt, wird von Wissenschaftlern widerlegt: Scientists write letter to Botswana president about elephants - Africa Geographic
QUELLEN
[1] twitter.com/BWGovernment/status/1278655613468323842/photo/1
[2] www.thepatriot.co.bw/news/item/8247-mystery-over-dead-elephants.html
[5] africageographic.com/stories/botswana-elephant-graveyard-mystery-death-toll-rises-to-400/
[6] www.n-tv.de/panorama/Raetsel-um-Elefanten-Massentod-in-Botswana-article21887090.html
[7] africanelephantjournal.com/bdf-dwnp-descend-on-seronga-as-elephant-deaths-near-300-botswana/
[8] Dr. Keith Lindsay, auf Elefanten spezialisierter Artenschutzbiologe, E-Mail-Korrespondenz
[10] conservationaction.co.za/recent-news/how-many-elephants-are-there-in-botswana/
WEITERFÜHRENDE LINKS
Hören Sie auch das Interview mit Heike Henderson im Podcast von MeineTierwelt:
open.spotify.com/episode/4WV87XBPC3KpPEGoLf9cYH?go=1&utm_source=embed_v3&t=0&nd=1
Hunderte Elefanten sind im Okavango-Delta in Botswana gestorben, erschienen im Redaktionsnetzwerk Deutschland am 07.07.2020:
Mysterium am Wasserloch: Warum sterben massenhaft Elefanten in Botswana?
Weitere Pressemeldungen:
www.sueddeutsche.de/leben/tiere-massenhafter-elefanten-tod-im-okavango-delta-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200707-99-698638
www.stern.de/panorama/experten-raetseln--woran-sterben-die-elefanten-in-botswana--9328404.html
www.focus.de/wissen/natur/tiere-und-pflanzen/tiere-massenhafter-elefanten-tod-im-okavango-delta_id_12181645.html
www.zeit.de/news/2020-07/07/massenhafter-elefanten-tod-im-okavango-delta
www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article211147057/Massenhafter-Elefanten-Tod-im-Okavango-Delta.html
www.n-tv.de/panorama/Ist-Corona-am-Elefantensterben-schuld-article21895803.html
www.mdr.de/wissen/okavango-elefantensterben-mysterium-100.html
www.ksta.de/panorama/experten-weiter-ratlos-elefanten-massensterben-in-botsuana-erreicht-neue-dimension-36976604
www.saechsische.de/elefanten-afrika-tod-sterben-raetsel-virus-5225389.html
www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.mysterium-am-wasserloch-massenhafter-elefanten-tod-im-okavango-delta.12a4790f-b60e-449a-98c8-ff11c62fadef.html
rp-online.de/panorama/ausland/warum-sterben-hunderte-elefanten-im-okavango-delta-suche-nach-ursache_aid-52058551